Der Vortrag von Oliver Tolmein – „Der 11.9. und die Folgen für den Rechtsstaat“ am 16. Dezember 04, musste aus gesundheitlichen Gründen abgesagt werden und wird am 3. Februar 2005 um 19.00 Uhr nachgeholt
Veranstaltungsreihe von 25. November 04 – 21. Dezember 04
„Den Mitschnitt von Lebensbereichen sichtbar und Einschnitte in der Lebensqualität
bewusst machen....“
Die 3 Linzer Kulturvereine FIFTITU%, KAPU,
und MEDEA haben es sich zum Projektziel
gemacht, mit 4 Vortragsabenden und einer Video-Ausstellung
einen weiteren Beitrag zur Sensibilisierung der lokalen Bevölkerung für das
Thema „Überwachung und moderner Sicherheitsdiskurs“ zu leisten.
Anknüpfungspunkte gab es bei Projekten zum selben Thema der österreichischen
Initiativen k.u.u.g.e.l (Innsbruck) und Public Netbase (Wien)
Die Theorie steht zum Diskurs, Rechtliches kann geklärt werden. Die Praxis soll
sowohl anhand von Fakten als auch durch künstlerische Arbeiten durchleuchtet
werden.
4 Vorträge und eine Ausstellung:
Vier Referate die,
Vorträge, Referate und Diskussionen:
25. November 04, 20h KAPU/Dachstock
– Sylvia Riedmann/Christian Flatz – „RE:CONTROL“
RE:CONTROL
In zwei Vortragsteilen beleuchten Sylvia Riedmann und Christian Flatz einerseits
den gesellschaftlichen und diskursiven Kontext von Überwachung und dokumentieren
anderersetis neue technologische Entwicklungen und deren Folgen.
Crusading for the safety of the world!
Unterschiedliche Überwachungsregime begleiten und regulieren unseren Alltag.
Sie alle wurzeln in einer Entwicklung, die stets mit der Rede von der Sicherheit
einhergeht. Inwieweit steht dieses Zwillingspaar in Verbindung mit dem heute
hegemonialen neoliberalen Paradigma? Welche Ansatzpunkte ergeben sich daraus
für widerständiges Agieren?
An eye on the spy!
Elektronische Engel, intelligente Etiketten, Gesichtserkennung, virtuelle Fußangeln
und vieles mehr findet sich bereits heute in den Auslagen der rasant wachsenden
Sicherheitsindustrie. Begünstigt von einem politischen Klima, das Angst schürt
und umfassenden Notstand suggeriert, erlebt der Überwachungskomplex ein ungeahntes
Wachstum. Jenseits vom festgefahrenen Rollenbild Bürger/Konsument ist es für
den Menschen heute umso wichtiger die Technologien der Überwachung zu kennen.
Sylvia Riedmann arbeitet als Journalistin und freie Sozialwissenschaftlerin
mit den Schwerpunkten politische Theorie, Cultural Studies und Kulturtheorie
in Innsbruck. Neben ihrer Lehrtätigkeit am Innsbrucker Institut für Soziologie
ist sie auch im Vorstand der Tiroler Kulturinitiativen (TKI) sowie im Vorstand
der IG Kultur Österreich und als Mitglied des k.u.u.g.e.l.-Kollektivs engagiert.
Christian Flatz, promovierter Sozial- und Kulturwissenschaftler aus Innsbruck
mit Schwerpunkten in der Medien- und Technologieforschung und der Politischen
Theorie. Daneben als PR-Berater im Bereich Wissenschaft und Kultur tätig und
Mitglied des ExpertInnenkollektivs k.u.u.g.e.l.
02. Dezember 04, 20h, Arbeiterkammer/Kongresssaal– Wolfgang Sützl / „Daten Global“ - Daten, Biopolitik und Globalisierung „Daten Global“
Der Umgang mit personenbezogenen Daten entscheidet immer mehr über das Maß
an politischer Autonomie, das Menschen in Anspruch nehmen können. Das Schicksal
der "indocumentados", die mangels offiziell sanktionierten Datensatzes keinerlei
Rechte in Anspruch nehmen können macht dies ebenso deutlich wie die Verbreitung
von eleganten Überwachungstechnologien und der Datenhunger der Global Players.
Der Vortrag behandelt die Datenschutzproblematik als Aspekt von Biopolitik,
eines nachdemokratischen Souveränitätsmodells, welches sich auf die Macht über
das "bloße Leben" (G. Agamben) stützt. Die globalisierte biopolitische Macht
droht Menschen zu Untertanen zu machen, indem sie bürgerliche Rechte im Zwielicht
des Sicherheitsdenkens technisch aufhebt, ohne ideologisch anstößig zu sein.
Datenschutz, der als Behauptung politischer Autonomie begriffen wird, muss sich
daher mit den Mechanismen der Biopolitik auseinandersetzen.
Wolfgang Sützl/Wien: Wolfgang Sützl ist Philosoph, Medientheoretiker und
Übersetzer. Er ist Chief Researcher des Instituts für Neue Kulturtechnologien
/ t0 in Wien und lehrt an Universitäten in Österreich, Spanien und Mexiko.
09. Dezember 04, 19:30h, KAPU/Dachstock - Martina Berger, "Der Frosch im heissen Wasser" anschliessend Ausstellungseröffnung „LIFE:CUT“
"Der Frosch im heissen Wasser"
Die Welt steht uns offen, es liegt an uns (?) unsere Träume und Wünsche in die
Wirklichkeit umzusetzen. Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied.
"(...)Dabei wird die Verantwortung für Erfolg oder Scheitern zunehmend beim
Individuum gesehen, wodurch Konkurrenzdenken und Entsolidarisierung sich verschärfen“(vgl.
U. Beck, Risikogesellschaft, 1986) Einer der Grundgedanken des Neoliberalismus
ist, dass das Weglassen von gesetzlichen Regelungen zur größtmöglichen Freiheit
des einzelnen führen soll. Realität ist jedoch vielmehr, dass wir permanent
mit „IdealBildern“ konfrontiert werden, mit denen wir uns vergleichen "müssen"
bzw. mit denen wir verglichen werden – schaffen wir es nicht, diesen Bildern
zu entsprechen, landen wir sehr schnell am Rand der Gesellschaft. Zu guter letzt
würde ich noch gerne auf den Begriff des öffentlichen Raums eingehen: Was ist
öffentlicher Raum? Welche Möglichkeiten gibt es, den Zugang zum öffentlichen
Raum bewusst zu Regulieren bzw. bestimmte Personengruppe von der Nutzung auszuschließen?
Militarisierung des öffentlichen Raum(Videoüberwachung, Polizei, private Sicherheitsdienste,
Neighbourhood Watch Programms, Gated Communities,---)
„Wer Freiheit aufgibt um Sicherheit zu erlangen, wird weder Sicherheit
noch Freiheit verdienen.“ (Benjamin Franklin)
Martina Berger: geb. in Linz 1977, Studium der MK Bildhauerei von 1997 -
2002 (Diplomarbeit "Intime Öffentlichkeit") 2002: Linz Kultur Auslandsstipendium
für London; derzeit Kostümbildnerin im Theater Spielraum, Wien
3. Februar 05, 19h, KAPU/Dachstock – Oliver Tolmein – "Der 11.9. und die Folgen für den Rechtsstaat"
"Der 11.9. und die Folgen für den Rechtsstaat"
In seinem Vortrag skizziert Tolmein den Deutschen Herbst 1977 und untersucht,
wo Parallelen zur Staatssicherheitspolitik nach dem 11.9. zu finden sind. War
damals das Feindstrafrecht Carl Schmittscher Prägung beherrschend für die staatlichen
Reaktionen, hat sich die Debatte seitdem verschoben: Nicht mehr das schwerfällige
Strafrecht, die flexiblen polizeilichen Möglichkeiten beherrschen heute die
Wirklichkeit. Gewohnheiten werden gerastert, Menschen erfasst und Verdächtige
abgeschoben in ein rechtliches Niemandsland. Dagegen richtet sich immer weniger
staatskritische Opposition, denn die jahrelange übung in der Gestaltung und
Verfolgung von Feindbildern hat die westlichen Gesellschaften längst verändert.
Mit Sicherheitsdenken wird versucht eine Freiheit zu schützen, die mit dem,
was man sich unter Freiheit vorstellt kaum mehr als die Buchstaben gemein hat.
Das liegt aber nicht nur an den Staatsmaßnahmen, sondern auch an der freiwilligen
Selbstaufgabe vieler BürgerInnen. Die Technikfixierung des neuen Sicherheitswahns
macht ihn aber auch angreifbar. Und dass die Helden der Inneren Sicherheit selten
Erfolg auf Dauer haben, hat sich zuletzt in den realsozialistischen Staaten
gezeigt.
Oliver Tolmein ist Jurist und Journalist. Er beschäftigt sich seit den frühen
1980er Jahren mit Fragen der Staatssicherheit und der Bioethik und ist Verfasser
mehrerer Bücher. Er schreibt u.a. für konkret, Jungle World.
Die Ausstellung findet im Ausstellungsraum der KAPU, Kapuzinerstrasse 36/1, 4020 Linz, im 1. Stock statt. Es werden Videos gezeigt, welche die Thematik sowohl künstlerisch, als auch informativ behandeln.
Neben internationalen Arbeiten werden auch Videos von regionalen KünstlerInnen
gezeigt bzw. eine Doku der Aktion "System 77 Civil Counter Reconnaissance"
von Public Netbase
Vernissage: 9. Dezember 04, 19:30h
Ausstellungsdauer: 9. –21. Dezember 04
Öffnungszeiten: MO – FR, 11– 16h und nach telefonischer Vereinbarung 0732-779660(KAPU)
oder 0732-770353 (FIFTITU%)
Wenn Maßnahmen zur Erhöhung des Sicherheitsgefühles an den
Ursachen für die Unsicherheit und Furcht vorbei zielen, liegt das vielleicht
daran, dass soziale Polarisierungsprozesse immer weniger aus der Perspektive
sozialer Gerechtigkeit, sondern als Problem der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung thematisiert werden. Sicherheit dient dann als naturalisierte Legitimation
politischer Entscheidungen und der Sicherheitsdiskurs dazu, soziale Angelegenheiten
zu organisieren. Verwendete Techniken, von der Satellitenfotografie bis zur
privaten Sicherheitsindustrie, schüren aber vielmehr die Angst, die sie
vorgeben zu dämpfen. Die Videos, die für das Programm von "LIFE:CUT"
zusammen gestellt wurden, verhandeln unterschiedliche Aspekte klassischer Modelle
von "Überwachen und Strafen", erzählen aber lange nicht
nur von der "reinen" Kontrollgesellschaft. Konkreter - "San Preccario
alla COOP" etwa ist eine Doku über Arbeiterinnen einer Supermarktkette,
die sich mit Hilfe einer imaginären Heiligen gegen Überwachung am
Arbeitsplatz wehren. Die Videoarbeit "euro girl: exploding, vanishing"
von Anita Fricek greift Motive des fiktiven Terrorismus-/Anarchofilmes auf.
Bilder der Auflösung, der An- und Abwesenheit lösen die gegen staatliche
und kulturelle Institutionen gerichtete Antihaltung ab. Das Außer-Kraft-Setzen
einer normierten Ordnung postuliert eine affirmativ feministische Haltung, die
Realitäten selbstbestimmt produziert.
Filmliste der Ausstellung LIFE:CUT
>Intime Öffentlichkeit< von Martina Berger entstand
aus ihrem Interesse für subtile unterschwellige Mechanismen von Überwachung.
- Nicht durch eines der vielfältigen Angebote der Überwachungsindustrie,
sondern durch gegenseitiges Kontrollieren, Bewerten und Taxieren.
>Don´t piss down my back and tell me it´s raining< von Barbara Doser ist eine Kompilation von verschiedenen Sequenzen (Video- und Videofeedbackaufnahmen bearbeitet am Computer und computeranimierte Einzelbilder). Traumähnliche Bilder fragen: What is to be seen? What is to be observed?
Die Videoarbeit >euro girl: exploding, vanishing< von Anita Fricek greift Motive des fiktiven Terrorismus-/Anarchofilmes auf und versucht Pathos und Pose der Politheldin mit einem fluiden, von Ambiguität getragenen Konzept des Handelns zu ersetzen.
>Crossing Surda< von Emily Jacir wurde mit einer Videokamera versteckt ihrer Tasche aufgenommen und zeigt den täglichen Weg von Ramallah zu ihrer Arbeit an der Bizeit Universität und zurück durch den israelischen Kontrollpunkt. - Eine Echtzeit-Aufnahme von acht Tagen Fussweg, während das Material auf dem Monitor einzelne Momente der Begegnung zwischen PassantInnen und dem Militär verdichtet.
In Miranda July´s Video >The Amateurist< beobachtet eine Expertin "an amateur woman" (beide gespielt von July) via Monitor. Über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren hatte sie nie Kontakt, stellte aber eine künstliche Kommunikation und Kontrolle über Zahlen, Knöpfe und eine sorgfältige, vorsichtige Sprache her.
Der Dokumentarfilm >Too soon for sorry< von Katharina Weingartner spürt den Verbindungen zwischen Lebensrealitäten junger Schwarzer und Latinos im US-amerikanischen Gefängnissystem und ihrer Vermarktung in der Medienindustrie nach. Seit 20 Jahren wird Hip Hop höchst erfolgreich als authentische Ausdrucksform des Lebens im "Ghetto" propagiert. Das Kleingedruckte zur Erfolgsgeschichte liest sich weniger glamourös: Ein Drittel aller jungen schwarzen Männer in den USA stehen heute unter der Aufsicht der Justizbehörde.
>Do you know where you are, do you know what you´ve done< von Anita Witek ist eine Videoarbeit, die aus der Perspektive der Überwachungskameras - die niemals mit der des eigenen Blickes übereinstimmt - persönliche Spuren eines Menschen auf seinem Weg durch die Stadt nachzeichnet. Es ist Anita Witeks eigener Weg von zu Hause zum Arbeitsplatz auf dem sie in London 57 verschiedene CCTV-Monitore passiert.
Der Kurzfilm >Laufende Kamera< von MEDEA fragt mittels aktionistischem Theater danach, was passiert, wenn Menschen die Gelegenheit wahr nehmen und für "ZuseherInnen" auf absurde Weise vor Kameras im Stadtraum agieren. Neben Sinnhaftigkeit und Nutzbarkeit der Kamerabilder geht es auch um die Schaulust der WebsurferInnen.
>bildverbot< vom ExpertInnenkollektiv k.u.u.g.e.l. (Innsbruck) ist als visuelles Intro zum aktionistischen Teil des Projektes "re:control" (Projektreihe: siehe link-Angabe) konzipiert. BewohnerInnen der Stadt Innsbruck dokumentierten die Standorte von Überwachungskameras fotografisch und rückten deren Bildproduktion zurück ins eigene Blickfeld, um so den überwachten, beobachteten Raum wieder als öffentlichen anzuzeigen.
Das Video >System 77 Civil Counter Reconnaissance< von Public Netbase dokumentiert den Probeeinsatz des taktischen Gegenüberwachungssystems S77CCR, einer luftgestützten Überwachungstechnologie, welche Drohnen (UAV, unmanned aerial vehicles) zu Aufklärungszwecken in urbanen Räumen einsetzt. Das S77CCR Konsortium begegnet der Überwachungsüberlegenheit staatlicher Sicherheitsdienste mit einer zivilen Technologie, um urbanen Raum für zivilgesellschaftliche Aktivitäten zurückzugewinnen.
>San Preccario alla COOP< schließlich ist eine italienisch/ spanische Dokumentation, über ArbeiterInnen einer Supermarktkette, die sich mit Hilfe einer imaginären Heiligen gegen Überwachung am Arbeitsplatz wehren.
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Katharina Weingartner – "Too soon for sorry" | Anita Fricek - "Euro girl: exploding, vanishing" | public netbase - "System 77 Civil Counter Reconnaissance" |
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Martina Berger – "Intime Öffentlichkeit" |